Hau den Lukas!

„Jugendgewalt“ – das ewige Thema der Ratlosen



Jugendgewalt ist ein Dauerthema in der Politik. Es erreicht jeweils dann einen Höhepunkt, wenn Wahlen anstehen oder wenn gesellschaftliche Veränderungen Ängste wecken – also dann, wenn die Erwachsenen keine fertigen Rezepte mehr haben, um die Komplexität des Lebens zu meistern.
„Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“Dies vermittelt eine Keilschrift vor 4000 Jahren, und Sokrates kommt ca. 2000 Jahre später zur Erkenntnis: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität.“ Nachdem das Weltende nach 4000 Jahren nicht eingetreten ist, die gleichen Feststellungen heute aber die Medien füllen, muss die Frage erlaubt sein, warum die „Alten“ ständig an den Jungen herumnörgeln. Eins vorweg: Es lohnt sich, auf die Jugend einzuprügeln. Erstens hat sie bis zum 18. Altersjahr politisch nichts zu sagen, und zweitens gehen nur gerade 4% der unter 20-Jährigen wählen.

Es gibt gewalttätige Jugendliche

Rund 4% der Jugendlichen delinquieren jährlich, davon weniger als die Hälfte durch Gewalt. Allerdings ist in der Statistik die Gruppe der 18-35-jährigen Männer für über 80% aller Gewalttaten verantwortlich. Warum spricht keiner von „Junger Erwachsener Männergewalt“? Es ist unbestritten, dass einige Jugendliche schreckliche Gewalttaten begehen. Und es ist Fakt, dass auch schon Kinder in der Primarschule Täter sein können. Für uns Erwachsene ist es ein Schock, wenn solches geschieht. Dies muten wir nur bösen Männern zu, die irgendwelche Störungen haben. Lernt man die Täter kennen, erscheinen nicht selten verletzliche, äusserlich unauffällige Menschen. „Man hätte nie gedacht, dass der so was tun könnte!“ Wir sind irritiert. Zweifel kommen auf, an den Menschen, an uns. Einige nehmen hier die Abkürzung und fordern harte Strafen. Das alttestamentarische Muster von Rache und Vergeltung steigt hoch. Würden wir jedoch mir dem Selbstzweifel beginnen und damit den mühsameren Weg gehen, kämen interessante Zusammenhänge hervor.

Kinder handeln nach ihren Vorbildern

Oft wird behauptet, die Folgen der 68er-Bewegung seien schuld an der heutigen Erziehungsmisere. Man brauche wieder klare Regeln. Ein Volksparteipräsident forderte in seiner 1.-August-Rede „die harte Sprache der Sanktion“. Die ‚Wohlfühlpädagigik‘ steht in der Kritik.
Wie beurteilen wir die Tatsache, dass sich die Schweiz trotz internationaler Verträge immer mehr von den Zielen der CO2-Reduktion wegbewegt? Werden deswegen die Autoverbände hart bestraft? Als ein Nachrichtensprecher verkündete, die Kantone hätten ihre Hausaufgaben in der Raumplanung nicht gemacht und die Zersiedelung gehe munter weiter, fragte mich ein Schulkind, ob die jetzt auch Strafaufgaben kriegen würden. „Natürlich nicht!“, antwortete ich reflexartig und erschrak über diesen leichtfertigen Satz. Kinder müssen ‚erzogen‘ werden; bei Erwachsenen ist das anders. „Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.“, meinte vor 100 Jahren der Schriftsteller Mark Twain. Es wird übel, wenn Kinder und Jugendliche lernen, sich wie Erwachsene zu verhalten. Dazu sagte Albert Einstein: „ Es gibt keine andere vernünftige Erziehung als Vorbild sein, wenn’s nicht anders geht, ein abschreckendes.“

Schweiz integriert auch schwarze Schafe

Gewalt reduzieren hiesse, Integration integral zu verstehen. Wer integrieren will, muss den Kreis öffnen und dem anderen eine Chance geben, sich als Neuer einen Platz zu suchen. Integration meint auch, den anderen so zu nehmen, wie er ist. Dies lernen die Kinder in der Schule. Wer in der Schule schwarze Schafe macht und diese verstösst, wird gemacht. Anders in der Politik: Wer andere anschwärzt, wird bejubelt. Dabei ist die Schweiz ein Modellfall, was Integration angeht. In welchem anderen Land sonst werden Randregionen derart stark gewichtet wie in der Schweiz! Komplexe Probleme lassen sich nicht mit einfachen Mitteln lösen. Der erste Schritt muss heissen: Verstehen wollen. Wer statt dessen hier Rezepte einsetzt, hat verloren. Ich muntere alle auf, genau hinzuschauen und vermeintlich Klares in Frage zu stellen. Der Dialog muss zusammen mit allen Betroffenen geführt werden. Liegt eine Straftat vor, hat der Staat genügend Instrumente zur Verfügung, um die Täter zu strafen, auch Junge.

Von Geri Müller, Vizeammann Stadt Baden und Nationalrat

erschienen in: teamblatt 2008

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